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 Merin Löwenzahn von Dana

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Merin Löwenzahn von Dana Empty
BeitragThema: Merin Löwenzahn von Dana   Merin Löwenzahn von Dana EmptyFr Feb 26, 2010 8:10 am

Mesring

Mit einem sanften Lächeln sah Merin von dem dicken, schweren Buch auf, welches vor ihr auf einem einfachen Holztisch lag. Das warme Sonnenlicht fiel in schrägen Bahnen durch die hohen Fenster der kleinen, aber wohlsortierten Bibliothek und tauchte den Raum in ein rotgoldenes Licht. Der Abend kündigte sich bereits an. Sie streckte sich - das ungewohnte stundenlange Lesen hatte ihr leichte Rückenschmerzen beschert - und schob mit einer kleinen, energischen Bewegung ihr Stirnband zurecht. Dann klappte sie den Wälzer mit einer fast andächtigen Bewegung zu und sprang auf. Sie war den Antworten ihrer Fragen zwar wieder nicht näher gekommen, aber das hatte ja auch Zeit. Vor dem Abendessen, welches einfach, aber immer reichhaltig war, benötigte sie dringend noch ein wenig Bewegung. Soran wartete sicherlich schon auf sie. Erneut legte sich ein heiteres Lächeln um die Augen und Mundwinkel der zierlichen Mönchin. Der jahrelange Unterricht hatte ein ganz besonderes Band des Vertrauens und der Freundschaft zu ihrem Lehrmeister wachsen lassen.
Auf dem Weg zur Trainingshalle sammelte sie sich und versuchte, alle störenden Gedanken hinter sich zurückzulassen. Die spezielle Kampftechnik, in der die Mönche des kleinen Klosters unterwiesen wurden, diente in erster Linie der Vollendung der Meditation. Jede einzelne Bewegung zeugte davon, dass der Geist dem Körper überlegen war, nicht der Geist hatte sich den Grenzen des Körpers zu unterwerfen, sondern der Körper folgte dem Wunsch des Geistes.
Ein Glücksgefühl durchströmte Merin, während sie den steinernen Gang mit den bunten Wandmalereien entlang lief, die Szenen aus dem Leben der Halblingsgemeinschaft in- und außerhalb des Klosters darstellten. Mesring, die Stadt, in der sie geboren wurde, lag nicht weit entfernt, und der Orden spielte eine wichtige Rolle in der Gemeinschaft der Hin, welche in Mesring immerhin ein Drittel der Bevölkerung stellte.
Soran erwartete sie tatsächlich schon. Meister und Schülerin traten voreinander, begrüßten sich mit einem verhaltenen, konzentrierten, aber nicht minder herzlichen Lächeln und einer tiefen Verbeugung. Der Übungskampf begann.

Sie stand an einer Wegkreuzung. Panik überkam sie. Nur eine Straße war die Richtige – nur... welche? Ihr wurden die Knie weich, sie drehte sich verzweifelt im Kreis. Die Buchstaben auf den Wegweisern wirbelten durcheinander, setzten sich immer neu zusammen, schienen mit ihr zu spielen, sie zu verhöhnen. Die Zeit drängte, sie musste sich entscheiden, sie musste... das Richtige... Plötzlich rannte sie los, wählte ohne weiter zu überlegen eine Abzweigung. Sie wollte rennen, die Zeit war knapp, vielleicht war es längst zu spät. Aber ihre Beine waren schwer wie Blei, ließen sich kaum bewegen, nur mit größter Kraftanstrengung konnte sie sich vorwärts schleppen. Sie hielt den Kopf gesenkt. Der Sand unter ihren Füßen war von eigentümlich roter Farbe. Der Weg, dem sie folgte, wurde steiniger, doch mit jedem Schritt, den sie tat, fiel ihr das Gehen leichter. Plötzlich spürte sie, dass sie beobachtet wurde. Sie blieb stehen und hob langsam den Blick. Rotglühend ging am Horizont die Sonne auf und tauchte die Landschaft in ein Flammenmeer. Dort, nur wenige Schritte von ihr entfernt, stand... sie selbst. Zwei Kurzschwerter in den Händen, starrte ihr zweites Ich sie hasserfüllt an. Mit einem Aufschrei, der zwei Kehlen zur gleichen Zeit entwich, explodierte der Kampf. Das Licht der Sonne wurde intensiver, sie spürte nur noch ihre eigenen Bewegungen, ihre eigene Kraft, eingehüllt in ein undurchdringliches Rot.


Velprintalar

Sie schlug die Augen auf. Das Dunkel um sie herum war anders als sonst, nicht länger schützend, sondern von einer dunklen, angespannten Ahnung erfüllt. Kam es ihr nur so vor, oder war es tatsächlich sehr still geworden, zu still für eine ereignislose, laue Sommernacht? Beinahe schien es ihr, als halte die Welt um sie herum den Atem an, als warte alles auf den entscheidenden Schritt, die richtige Entscheidung. Die richtige...
Merin setzte sich ruckartig auf. Sie war plötzlich hellwach. Die Zweifel der letzten Wochen waren schlagartig weggewischt, als hätten die langsam blasser werdenden Traumbilder, welche sie eben noch in ihrem nächtlichen Bann gehalten hatten, alle Ängste und Unsicherheiten mit sich fortgetragen. Etwas wurde von ihr erwartet, sie spürte es. Es schimmerte in dem fahlen Mondlicht, welches sich träge und bleich durch das hohe Fenster in die karge Kammer ergoss, es lag schwer und bleiern in der viel zu warmen Luft, die selbst in den Nächten kaum Kühlung erfuhr. Merin atmete mühsam tief durch und sprang von der schmalen Pritsche.
Mit wenigen schnellen Handgriffen war das schlichte Gewand übergeworfen, wurden einige kleine Beutel mit verschiedensten Inhalten an dem festen ledernen Gürtel befestigt. Merin tastete nach ihrem Rucksack und schulterte ihn. Schon seit Tagen lag er fertig gepackt in einer Ecke, für einen unaufmerksamen Besucher des kleinen Raumes den Blicken entzogen, aber stets griffbereit. Mit einem leisen Knarren öffnete sch die schmale Holztür und gab den Blick auf den steinernen Korridor des Klosters frei. Lautlos rannte Merin den Gang herunter. Die Bilder ihres Traumes, ihres Traumes, ließen sie nicht los, sie kehrten wieder, immer dieselben und doch stets neu. Denn selbst im Wachen schienen sie ihre Aussagen fortwährend zu verändern, die Schwerpunkte beständig neu zu legen. Und so in sich selbst gefangen, das Auge nach innen gerichtet, bemerkte die zierliche Mönchin die schwache Bewegung in den Schatten einer der hohen, steinernen Arkaden nicht.
Merin verließ das Kloster durch eine unauffällige Seitentür, und nur wenige Augenblicke später stand sie an der staubigen Kreuzung, an der sich der Pfad zum Kloster, der Weg nach Mesring und die Straße nach Velprintalar trafen. Ein flüchtiges Lächeln überzog für einen kurzen Augenblick Merin’s Züge. Wie symbolisch diese Kreuzung ihr doch schien: Mesring – der Ort ihrer Kindheit und frühen Jugend, ihre Vergangenheit. Das Kloster – für lange Zeit war der Orden ihr zu Hause gewesen, bis vor wenigen Stunden ihre Gegenwart. Und Velprintalar?
Sie erreichte die Hafenstadt im Morgengrauen. Noch lag die größte Seestadt Aglaronds träge und verschlafen vor ihr, aber bald schon würden sich die breiten Straßen des "Tores zur Welt", wie Velprintalar auch genannt wurde, mit summendem Leben füllen. Merin rannte Richtung Hafen. Sie fühlte sich erbärmlich, klein und verlassen. Sie war erst ein einziges Mal zuvor in Velprintalar gewesen, und auch das nur in Begleitung einiger guter Freunde. Es war ein schöner Tag gewesen, damals, sie hatten viel gescherzt und in einem Gasthaus hervorragend gespeist. Vollbepackt mit Geschenken waren sie erst in der Abenddämmerung heimgekehrt. Heute war alles anders. Sie würde nicht heimkehren. Und sie würde weder gutes Essen noch Geschenke kaufen.
Der Hafen lag vor ihr. Auf einigen Schiffen waren schon Matrosen und Arbeiter am Werk. Merin eilte zu einem großen Frachter, auf dem bereits ein emsiges Treiben herrschte. Sie würde den Kapitän bitten, sie mitzunehmen. Denn, das spürte sie ganz gewiss, sie musste Aglarond so schnell wie möglich hinter sich lassen. Schon jetzt meldeten sich nagende Zweifel an ihrem Entschluss, und nur ein möglichst großer Abstand zur Heimat würde diesen ihre lockende Macht nehmen.

Die Luft in dem überfüllten, nicht sonderlich sauberen Gasthaus war stickig. Alle Stühle waren besetzt, an der Theke drängten sich Draufgänger, Herumtreiber und andere zwielichtige Gestalten. Sie ließ sich in einer Ecke zu Boden gleiten, unbemerkt und von niemandem beachtet. Der Boden war übersät mit dunklen Flecken, kleinen Bierlachen und unzähligen Fußabdrücken. Doch ihre Erschöpfung war stärker als ihr Sinn nach Reinheit. Sie kauerte sich zusammen, machte sich so klein wie möglich und zog ihren gelben, wetterfesten Umhang um sich. Sie war müde und kraftlos. Schlafen wollte sie, nur schlafen. Ihr Kopf war schwer, eine unerträgliche Last. Ihr Blick wanderte durch den Schankraum. Merkwürdigerweise bewegten sich alle Anwesenden viel zu langsam, als befänden sie sich unter Wasser. Und es war still. Nichts war zu hören, kein einziger Laut. Der Nebel aus unzähligen Pfeifen nahm zu, erfüllte die Luft mit einem gelblichen Schleier. Ihr wurde schwindelig. Der gelbe Dunst hüllte sie ein, verbarg sie vor den Blicken der Fremden und schien auf merkwürdige Weise Trost zu spenden. Dann fielen ihr die Augen zu.


Telflamm

Knarrend und ächzend schob sich der schwere Kahn an die Kaimauer. Unter hektischen Zurufen und gestenreichen Anweisungen wurden dicke Taue an Land geworfen. Matrosen sprangen geschäftig auf dem Deck umher. Die muskelbepackten Arbeiter am Kai griffen sich die Halteseile und zurrten den Lastkahn fest. Dann sprangen die ersten Seemänner an Land.
Kurz darauf verließ eine kleine Gestalt über einen schwankenden Landungssteg das Schiff. Merin blickte sich um und atmete tief durch. Dies also war Telflamm, das Eingangstor nach Thesk für all jene, welche über den Seeweg in das Land einreisten. Hier begann der berühmte "Goldene Weg", eine Handelsstraße, welche sich über unzählige Meilen nach Osten hinzog und Faerun mit den sagenumwobenen Ländern des Kontinents Kara-Tur verband. Telflamm selbst war berüchtigt durch seine Diebesgilden, welche die Stadt fest in ihrem Griff hielten, auch wenn dies die Stadtoberhäupter nicht gern hörten. Langsam lief Merin in die fremde Stadt hinein. Das Viertel der Halblinge sollte für den Anfang ihr Ziel sein. Sie würde ihre Suche bei den Ihren beginnen, ja, beginnen müssen. Nie zuvor in ihrem Leben hatte sich Merin so einsam und auf sich allein gestellt gefühlt. Sie schluckte die aufkeimende Verzweiflung tapfer herunter und setzte ihren Weg eine Spur energischer fort.
Der Strom der Menge zog sie mit sich, immer tiefer hinein in das Zentrum der großen, fremden Stadt hinein. Fast wie von selbst gelangte sie zum Marktplatz. Hier war alles viel größer, farbiger und lauter als zu Hause in Mesring. Und doch erinnerten die unzähligen bunten Stände mit ihren verschiedensten Auslagen und Angeboten, die sich gegenseitig niederbrüllenden Marktschreier und schimpfenden Marktfrauen, das ganze hektische Treiben Merin unwillkürlich an ihre Heimat. Ein zaghaftes Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht, während sie mehr vorwärtsgeschoben und -gedrängt wurde, als dass sie lief. Plötzlich zog sie jemand am Ärmel. "Psst, hier entlang", flüsterte eine leise Stimme. Merin sah gerade noch, wie eine zierliche Gestalt – kaum größer als sie selbst – in der Menge verschwand. Sie kämpfte sich hinter dem unbekannten Fremden her, bis sie schließlich in einer ruhigeren Seitengasse standen.
Vor ihr lehnte ein anderer Halbling lässig an der Häuserwand. Er war in eine dunkelblaue Hose, ein hellblaues Hemd und schwere Lederstiefel gekleidet. Über dem Hemd trug er eine ehemals sicherlich leuchtend gelbe, durch die Jahre nun etwas verblichene, graugelbe Weste. Die dicken schwarzen Haare des Halblings waren kurz geschnitten und standen aufgrund unbezähmbarer Wirbel in alle Himmelsrichtungen ab. Dunkelbraune Augen musterten sie prüfend. "Dich habe ich hier noch nie gesehen", stellte der andere nach einer kurzen Pause sachlich fest. Merin nickte zögernd. "Ich kam erst heute in Telflamm an", erwiderte sie vorsichtig. Angesichts der Tatsache, dass sie in dieser riesigen Stadt nicht eine Seele kannte, beschloss sie, dass es nicht das Schlechteste sei, Leuten vom eigenen Volk zu vertrauen. "Mein Name ist Merin", setzte sie hinzu und deutete eine leichte Verbeugung an. "Ich bin mit dem Schiff aus Velprintalar hergereist und..." Merin stockte, als das Grinsen auf dem Gesicht des anderen immer breiter und frecher wurde. "Ja, schon gut, wir unterhalten uns besser später in aller Ruhe darüber, wer Du bist. Mein Name ist übrigens Jori. Komm mit..." Er stieß sich mit einer lockeren, schwungvollen Bewegung von der Wand ab und rannte los.
In den nächsten Tagen und Wochen lernte Merin viel über das Leben eines Halblings in Telflamm. Viele von ihnen waren in einer eigenen Diebesgilde organisiert, die von Halblingen geleitet wurde und – wie üblich für die Hin – auch nur Angehörige der eigenen Rasse aufnahm. Struktur und Arbeitsweise der Gilde blieben Merin verborgen, ebenso wie die Grundsätze und Spielregeln der verschlungenen Intrigen und Machtkämpfe zwischen den unterschiedlichen Gilden der Stadt – und sie war klug genug, nicht weiter danach zu forschen. Jori erwies sich als ein vollkommen unzuverlässiger, aber warmherziger Führer und wurde Merin im Laufe der Zeit ein Freund. Sie bemühte sich, über die Profession des kleinen Schurken, dem ständig der Schalk im Nacken saß, hinwegzusehen, und nicht über jene zu urteilen, welche so hilfsbereit und freundlich zu ihr waren. Die Hin hatten – wie in vielen Städten – ein eigenes Viertel in Telflamm, und obwohl Merin von der Gemeinschaft sehr herzlich aufgenommen wurde, fühlte sie sich im Grunde ihres Herzens einsam. Sie erzählte nur wenig von sich und stellte halb fasziniert, halb betroffen fest, dass sie im Ausweichen von Fragen bald eine gewisse Meisterschaft erlangte. Nachts wurde sie von Träumen geplagt, die sie nicht verstand, und hatte mit jedem Tag, der verstrich, mehr das Gefühl, in eine Sackgasse gelaufen zu sein. Sie suchte nach Antworten, ja... aber was waren die Fragen dazu?
Fast unmerklich wandelte sich der Spätsommer zum Herbst. Der Winter verstrich, und mit dem Frühlingsanbruch ließ die lähmende Mattigkeit ein wenig nach, welche Merin befallen hatte. Eines schönen Morgens stand sie wieder am Hafen. Sie musste weiter, dies war nicht das Ende ihrer Reise. Und so bestieg Merin ein Schiff, welches an der Küste entlang den Weg nach Sembia über Procampur nehmen würde. Viele weitere kleine Küstenstädte würde der Lastkahn auf seinem Weg dorthin anlaufen, und von ihrer Aufbruchsstimmung zuversichtlich gestimmt, glaubte Merin fest daran, dass sie spüren würde, wenn es wieder Zeit sein sollte, an Land zu gehen.

Sie lief über eine dürre, unfruchtbare Ebene. Die Luft war trocken, das Atmen fiel ihr schwer. Kaum etwas wuchs in diesem Landstrich, bis zum Horizont zog sich diese leblose Einöde hin. Sie versuchte sich zu erinnern. Ihr Kopf war leer, dabei gab es etwas, an das sie sich unbedingt erinnern musste. Sie hätte es niemals vergessen dürfen, und doch fiel es ihr jetzt, im entscheidenden Moment, nicht ein. In der Ferne heulten Wölfe. Ihr wurde kalt ums Herz. Während sie krampfhaft nach der Lösung suchte, verdunkelte sich der Himmel. Schwarze Wolken zogen auf. Den Kopf gesenkt, kämpfte sie sich weiter. Die Schatten auf dem Boden wurden immer tiefer. Es fiel ihr nicht ein. Tiefe Hoffnungslosigkeit ergriff sie. Und dann färbte sich der Boden schwarz. Sumpfige Flecken bildeten sich, weiteten sich aus, tasteten nach ihr. Die Schwärze schien sie auszusaugen. Sie stolperte und spürte, wie sie in undurchdringliche Dunkelheit fiel.

Shaunn

Merin saß erschöpft und apathisch an der Reling und starrte müde auf das fremde Ufer, welches sich schemenhaft und trügerisch im Nebel abzeichnete. Dort lag Sembia, und die Türme und Dächer der Stadt, die sich bereits erahnen ließen, mussten zu Shaunn gehören, dem letzten Ort, welchen das Schiff anlaufen würde, um die restliche Fracht zu löschen, neu zu laden und schließlich nach Telflamm zurückzukehren. Seit ihrem Aufbruch waren viele Wochen vergangen, dunkle Wochen, die in der Erinnerung zusammenschmolzen zu einer endlosen Einöde aus gleichförmigen, monoton rauschenden Wellen. Die wenigen Orte, die der Kahn angelaufen war, schienen Merin wie Gebilde der eigenen Phantasie, hervorgerufen durch phantastische Fieberträume unruhiger Nächte. Tatsächlich war Merin in diesen Wochen nicht ein einziges Mal an Land gegangen. Gefangen in einem Dämmerzustand, hatte sie die meiste Zeit teilnahmslos in einer Ecke gesessen. Sie wartete... ohne zu wissen, worauf eigentlich. Das Denken fiel ihr immer schwerer, ihre Erinnerungen wurden farblos und blass. In einigen wenigen klaren Momenten schreckte Merin auf, wurde sich voller Angst bewusst, wie sehr sie sich schon von sich selbst entfernt hatte. Zur Meditation fehlte ihr Ruhe und Konzentration, ihre Kampfübungen hatten auf dem schwankenden, voll beladenen Kahn keinen Platz, und die Eintönigkeit der endlosen Kette immer gleicher Tage schien ihren Geist zu lähmen. Die Träume, welche Merin quälten, waren beunruhigend. Sie wurden immer düsterer und eindringlicher, ihre Farben greller. Sie kehrten stets wieder, veränderten sich nur um Nuancen, aber ihr Sinn blieb Merin weiterhin verborgen. Die Mönchin verlor den Zugang zu ihren Göttern.
"Endstation, wir sind gleich da", riß eine tiefe, dröhnende Stimme Merin aus ihren Gedanken. Müde sammelte sie ihre Sachen zusammen und verließ wenig später das Schiff.
Shaunn unterschied sich in den Augen der zierlichen Hin kaum von anderen Städten der Großen. Sie spürte, dass in dieser Stadt nichts auf sie wartete. Es zog sie weiter, weg von diesen Menschen und dem Lärm größerer Städte. Bei ihrer Seele, sie brauchte dringend Abstand und Ruhe. Und so verließ Merin, nachdem sie ihren Proviant aufgestockt hatte, noch am selben Abend Shaunn durch das westliche Stadttor, auf der langen, staubigen Straße in Richtung der Talländer.

Das warme Sonnenlicht brach sich an den tiefgrünen Blättern der alten, hohen Bäume und fiel in tanzenden, goldenen Lichtflecken auf den Waldboden. Ein sanfter Wind rauschte in den Laubkronen, durchdrungen von dem lebhaften Gezwitscher unzähliger Singvögel. Sie saß an den mächtigen Stamm eines uralten Baumes gelehnt im dunkelgrünen Moos und fühlte, wie eine lange vermisste Wärme langsam in ihre Glieder strömte. Die kleine Lichtung zu ihren Füßen war mit saftigem hellgrünen Gras überwuchert, in dem unzählige kleine Gänseblümchen im Wind schaukelten und das leuchtende Grün der Wiese mit gelben und weißen Sprenkeln durchzogen. Ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig, sie wagte sich kaum zu rühren, während sie spürte, wie sich erneut das Leben in ihr regte und die Kälte vertrieb. Eine verheißungsvolle Ahnung keimte in ihr auf, noch nicht klar erkennbar, noch lange nicht greifbar. Aber sie war da. Ein Sonnenstrahl, durch das Blätterdach leuchtend grün eingefärbt, fiel ihr ins Gesicht und ließ sie blinzeln.

Die Talländer

Der Atem der zierlichen Mönchin ging ruhig und sehr tief. Ihr Brustkorb hob und senkte sich in gleichmäßigen Zügen und wurde nur unwesentlich schneller, als sie mit einer vollendeten Drehung in die Luft sprang. Ihr Fuß schnellte vor, traf auf einen unsichtbaren Gegner, ehe sie sich in einer fließenden, geschmeidigen Bewegung im weichen Moos abrollte und den körpereigenen Schwung nutzte, um wieder auf die Beine zu kommen. Sie setzte mit ein, zwei schnellen Sprüngen nach, ihre Fäuste wirbelten harmonisch durch die Luft. Der kleine Körper wurde schneller, schraubte sich mit einem formvollendeten Salto in die Höhe, und nach einer Drehung aus den Hüften kam die Mönchin federnd auf beiden Füßen zur Ruhe.
Reglos, noch mit geschlossenen Augen blieb Merin bewegungslos stehen, spürte, wie die herbe Waldluft in ihre Lungen drang. Mit einem Zwinkern tauchte die kleine Mönchin aus ihrer Konzentration auf. Nichts hatte sich verändert. Die Amsel saß nach wie vor auf dem untersten Ast der mächtigen Eiche und beobachtete Merin mit schiefgelegtem Kopf. In dem sanften Sommerwind wiegten sich einige frühblühende Gräser und Blumen, über welchen bunte Schmetterlinge schaukelten. Ein Lächeln verklärte ihre Züge, während sie mit elastischen Schritten zu ihrem Rucksack lief, ihn schulterte und zielstrebig ihren Weg fortsetzte.
Die Talländer. Schon seit unzähligen Tagen war Merin nun in diesem Gebiet unterwegs, sie hatte das Deepingdale bereits hinter sich gelassen. Es konnte nicht mehr weit sein bis Arabel, vielleicht noch ein knappes Dutzend Tagesmärsche. Zu Beginn hatte sie die wenigen Dörfer an ihrer Wegstrecke gemieden, und hatte sie nur betreten, wenn ihr Proviant sich bedenklich dem Ende zuneigte. Sie hatte viel meditiert und ihre vernachlässigten Kampfübungen – zunächst ausschließlich mit zäher Verbissenheit – wieder aufgenommen. Merin hatte tief in ihrem Inneren gespürt, dass sie sich nicht länger diesen lähmenden Ängsten und Zweifeln hingeben durfte, welche nun fast ein ganzes Jahr ihre ständigen Begleiter gewesen waren. Im Rückblick fiel es Merin selbst schwer, zu verstehen, was sich eigentlich ereignet hatte. Dunkel und grau schien ihr diese Zeit, fern von ihren Zielen und... ja, und fern von ihren Träumen, welche sie doch auf diese Reise geschickt hatten.
Ihre Träume – wieder einmal hatten sie sich in der letzten Zeit verändert. Ein neuer, freundlicher Ton war hinzugekommen, die Farben der anderen, lange bekannten, waren wieder heller geworden, und selbst der dunkle Traum schien weniger bedrohlich zu sein – wenngleich ihr auch dieser weiterhin in die Nächte folgte. Und am wichtigsten schien ihr, dass sie das Gefühl hatte, langsam, ganz langsam... die Botschaft dieser Träume zu verstehen.

Der Morgen kündigte sich an. Noch war die Sonne nicht zu sehen, aber die Schatten wurden bereits heller. Das Dunkel der Nacht wich einem grauen, matten Blau, welches die Welt in ein fahles, kühles Licht tauchte. Sie folgte dem Lauf eines Baches. Schon seit einiger Zeit schlängelte sich der Weg entlang dieses kleinen, quirligen Gewässers. Das muntere Plätschern schien ihr etwas zuzuflüstern, eine Botschaft für sie bereit zu halten. Ein zartes Lächeln erhellte ihr Gesicht, während sie ruhig weiterschritt. Sie erreichte eine kleine, hübsch geschwungene Holzbrücke und überquerte den Bach. Am Ende des Weges stand ein Haus. Es war nicht sehr groß, und seine Eingangstür stand einen Spalt offen. Blaues Licht ergoss sich aus dieser Öffnung auf die Straße. Sie zögerte nur kurz. Dann stieß sie die Tür vollständig auf und trat in das Licht.

Dippelsbach

Langsam und mit sicheren, geschmeidigen Schritten lief Merin den breiter werdenden Weg entlang. Einige gepflegte Gehöfte mit ihren gut bestellten, fruchtbaren Feldern kündigten bereits von der nahen Stadt, und als sie den nächsten Hügel erklomm, lagen die dicken Mauern der Ortschaft schon vor Merin im Sonnenlicht. Einige Augenblicke später stand Merin vor den Toren Dippelsbachs. Sie nickte den beiden Wachen zu, welche sich vor dem geschlossenen Portal aufgebaut hatten und mit gewichtiger Miene ihre Speere senkrecht vor sich hielten. "Halt!", die dunkle, herrische Stimme einer der Wachen dröhnte laut durch die Stille der Mittagshitze und verriet einiges über das Wesen ihres sehr von sich selbst eingenommenen Besitzers. Merin blieb stehen und schenkte dem Mann das entwaffnendste, unschuldigste Lächeln, zu dem sie fähig war. "Seid gegruesst", erwiderte sie fröhlich und deutete eine leichte, spielerische Verbeugung an. "Wer seid Ihr und was wollt Ihr?", fuhr die Wache die zierliche Mönchin unfreundlich an. Merin zog die Nase kraus und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. "Nun, mein Name ist Merin. Merin Löwenzahn. Ich bin weit gereist und möchte in Eurer Stadt meine Vorräte aufstocken und mich ein wenig ausruhen, ehe ich meinen Weg wohl fortsetzen werde.", antwortete sie leichthin. Mit gerunzelter Stirn musterte die Wache Merin. Ruhig und gelassen hielt die kleine Hin dem Blick des misstrauischen Mannes stand, welcher wohl zu dem Schluss kam, dass eine unbewaffnete, nur in Stoffe gekleidete Person kaum eine Bedrohung für ihn oder seine Stadt darstellen würde. "Haltet Euch an die Gesetze und macht mir keinen Ärger... wir haben genug Schwierigkeiten mit den Roten... und nun tretet ein", knurrte die Wache und trat zur Seite. Mit einem erleichterten Lächeln nickte Merin dem Mann noch einmal zu, ehe sie sich mit dem ganzen Gewicht ihres zierlichen Körpers gegen das schwere Tor lehnte, um es aufzudrücken.
Mit einem protestierenden Knarren schwang das schwere Portal auf und gab den Blick auf eine Ansammlung schmucker Bürgerhäuser und gepflegter Läden frei. Eine Gruppe Bänke und Tische stand einladend unter einigen alten, schattenspendenden Bäumen vor einer Taverne, deren Holztür weit offen stand. Langsam betrat Merin Dippelsbach. In der sengenden Hitze der Mittagssonne war kaum ein Bürger zu sehen. Nur eine Dorfwache lief mit gemessenen Schritten ein Stück vor ihr die Straße hinunter, und etwas weiter entfernt saß ein Bettler in einer Häusernische. Er schien eingeschlafen zu sein.
"Aye, Ihr da...", eine dröhnende Stimme ließ Merin herumfahren. Vor ihr stand ein Gnom, kaum größer als sie selbst, gekleidet in eine blaurote Robe. "Seid gegruesst", wandte sich die zierliche Hin mit einer leichten Verbeugung und einem fröhlichen Lächeln dem Unbekannten zu. Der Gnom beugte sich vor, begann zu schnüffeln und die kleine Mönchin zu umkreisen. Ein wenig aus der Fassung gebracht drehte sich Merin mit ihm. "Ist... ist irgendetwas nicht in Ordnung...?" Ohne auf ihre Frage einzugehen, begann der Gnom vor sich hin zu murmeln. "Hrm, wie ein Räuber riecht Ihr nicht gerade... auch wenn Ihr ausschaut wie einer von diesen... diesen räuberischen Halblingen..." ein langer Finger schoß plötzlich vor und deutete auf Merin. Sie fuhr zurück. "Ich... ich bin kein Räuber...", entgegnete sie schnell, halb empört und halb verwirrt. Die grauen Augen des Felsengnoms musterten sie misstrauisch. Merin streckte sich, verschränkte die Arme vor der Brust und erwiderte den langen, prüfenden Blick des Fremden fest und bestimmt. "Wie kommt Ihr nur auf solche Gedanken...?", sie schüttelte empört den Kopf. Einige unangenehme Augenblicke verstrichen, während sich die beiden gegenseitig beäugten. "Hrm... nun, ich denke, ich glaube Euch...", räumte der Gnom nach einer Pause knurrig ein. Schlagartig veränderten sich seine Züge. "Namfoodle Dhaergel, angehender Feinmechaniker und beinahe Meisterillusionist", stellte sich der Felsengnom plötzlich vor. Ein erleichtertes Lächeln legte sich um die Augen der Mönchin, als sich die soeben noch greifbare Spannung überraschend löste. "Mein Name ist Merin", erwiderte sie und setzte ein herzliches "sehr erfreut" hinzu – weniger Ausdruck ihrer Freude über die neue Bekanntschaft, als vielmehr ein Friedensangebot ihrerseits. Nach einigen floskelhaften Sätzen über die Hastigkeit großer Leute trennten sich die beiden, ohne auch nur im Entferntesten zu ahnen, dass diese Begegnung der Beginn einer aufrichtigen Freundschaft sein würde.
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